(OLG Hamm, Beschluss vom 10.8.2021, Az. 10 W 53/21)
Die seit dem 17.8.2015 geltende Europäische Erbrechtsverordnung (EuErbVO) hat Konsequenzen auch für die Fälle, in denen der deutsche Erblasser in einem nicht zur Europäischen Union gehörenden Staat verstirbt. Denn nach Artikel 21 Abs. 1 EuErbVO findet das Erbrecht des Staates Anwendung, in dem der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ hat. Das gilt auch dann, wenn der Erblasser, der vielleicht sein ganzes Leben in Deutschland verbracht hat, die letzten Lebensjahre lieber im sonnigen Süden genießen möchte. Denn der „gewöhnliche Aufenthalt“ im Sinne der Erbrechtsverordnung ist nicht schematisch etwa nach der Dauer des dortigen Aufenthaltes zu bestimmen, sondern „ist der Daseinsmittelpunkt einer Person, der unter Gesamtberücksichtigung der jeweiligen Lebensumstände, wie Dauer und Regelmäßigkeit von Aufenthalten, einer besonders engen Beziehung an einen Staat, der Sprachkenntnisse, der Lage des Vermögens für die letzten Jahre vor und beim Erbfall zu ermitteln ist“. Das bedeutet also, dass jeweils im Einzelfall zu bestimmen ist, wo sich der nun für die Anwendbarkeit welchen Erbrechts entscheidende Aufenthalt abgespielt hat. Es kann nun sein, dass es durch das anzuwendende ausländische Erbrecht zu einer sogenannten Nachlassspaltung kommt, die eigentlich durch die Einführung der EuErbVO (europäische Erbrechtsverordnung) vermieden werden wollte sollte. Nachlassspaltung in diesem Sinne bedeutet, dass Teile des Vermögens des Erblassers, etwa die Immobilien, nach einem anderen Recht vererbt werden als der Rest. Das kann sogar dann gelten, wenn der deutsche Erblasser in Deutschland stirbt, aber im Sinne der EuErbVO seinen „gewöhnlichen Aufenthalt“ nicht (mehr) in Deutschland hatte.
Mit einer solchen Fragestellung hatte sich das Oberlandesgericht Hamm unlängst zu beschäftigen und es hat in dem oben genannten Beschluss zu dieser Frage Stellung genommen
1. Problem: der deutsche Erblasser hinterlässt nicht nur beträchtliches Vermögen, sondern auch eine Letztwillige Verfügung, die nach deutschem Recht gar nicht wirksam wäre
Das Oberlandesgericht Hamm hatte sich hier mit einem Fall zu befassen, bei dem der Erblasser zusammen mit einer Lebensgefährtin eine gemeinsame Wohnung in Thailand bewohnte und dort weitere Eigentumswohnungen besaß. In Deutschland hatte er zwei Kinder. Der Erblasser begab sich immer wieder nach Deutschland, etwa um Verwandte zu besuchen oder auch nach seinem in Deutschland befindlichen, aus drei Eigentumswohnungen bestehenden Immobilienbesitz zu verwalten. Er selbst gab als seinen Lebensmittelpunkt stets Thailand an. Im Jahre 2019 besuchte der Erblasser Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt wurde bei ihm eine schwere Erkrankung festgestellt und hier behandelt. Leider überlebte der Erblasser die Behandlung nicht und verstarb in Deutschland.
Der Erblasser hatte einige Jahre zuvor in Thailand ein maschinenschriftliches Testament abgefasst, das von zwei Zeugen bestätigt wurde. In diesem Testament hatte er sein aus erster Ehe stammendes Kind enterbt, ihr lediglich ein im Verhältnis zum sonstigen Vermögen unbedeutendes Vermächtnis in Höhe von 10.000 € bestimmt. Von seinem in Thailand befindlichen Vermögen sollte der Großteil an seine thailändische Lebensgefährtin gehen. Im Übrigen bestimmte der Erblasser sein Kind aus zweiter Ehe zum Erben seiner in Deutschland befindlichen Vermögensgegenstände, insbesondere dreier Eigentumswohnungen.
Das bedachte Kind stellte einen Antrag auf Erlass eines gegenständlich beschränkten Erbscheins auf das in Deutschland befindliche Immobilienvermögen. Dabei vertrat er die Auffassung, es sei thailändisches Erbrecht anzuwenden, nach diesem sei das verfertigte maschinenschriftliche Testament wirksam und er habe aufgrund dieses Testaments das deutsche Immobilienvermögen seines Vaters geerbt.
2. Anwendbarkeit ausländischen Erbrechts auf in Deutschland befindliches Vermögen
In der Vorinstanz hatte das Nachlassgericht festgestellt, es sei hier entsprechend Art. 21 Abs. 1 EuErbVO thailändisches Recht anzuwenden, weil der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Thailand gehabt habe. Nach thailändischem Erbrecht sei – im Gegensatz zum deutschen Erbrecht – vor allem auch die Abfassung eines maschinenschriftlichen Testamentes vor Zeugen hinsichtlich darin durchgeführter Erbeinsetzungen wirksam. Deshalb sei ein gegenständlich beschränkter Erbschein zu erteilen.
3. Beschwerde: Voraussetzung für Anwendung deutschen Erbrechts
Das durch das Testament enterbte Kind legte Beschwerde gegen die Entscheidung des Nachlassgerichts ein. Sie trug insbesondere vor, dass zum einen der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Thailand gehabt habe, weil er doch regelmäßig nach Deutschland zurückgekehrt sei und außerdem auch eine postalische Adresse dort besessen habe. Außerdem habe er offensichtlich in Deutschland Immobilien besessen, sei darüber hinaus dort krankenversichert gewesen und schließlich auch in einem deutschen Krankenhaus gestorben. Schon deshalb sei auf seinen Nachlass insgesamt deutsches Erbrecht anzuwenden, was insbesondere auch das sie enterbende Testament ungültig mache und gesetzliche Erbfolge herbeiführe.
4. Gegenargumente
Demgegenüber trug der begünstigte Erbe vor, dass der Verstorbene schon seit vielen Jahren mit der ebenfalls im Testament bedachten Lebensgefährtin in Thailand zusammengelebt habe und zwar in einer ihm gehörenden Eigentumswohnung. Auch habe er in Thailand Einkünfte erzielt und schließlich die Sprache in Grundzügen beherrscht sowie thailändische Fahrerlaubnisse gehabt. Dass er eine Postadresse und auch eine Kontoverbindung in Deutschland unterhalten habe, habe in erster Linie damit zu tun gehabt, dass er eben auch in Deutschland Immobilien besaß und diese verwaltete.
5. Entscheidung
Das Oberlandesgericht Hamm als Beschwerdegericht entschied hier zu Gunsten des per thailändischen Testament eingesetzten Erben, dass dieser allein die drei in Deutschland gelegenen Eigentumswohnungen des Erblassers erhalten werde und das erste Kind des Erblassers insofern wirksam enterbt wurde.
Zur Begründung führt das Gericht in erster Linie an, dass es aus den vorgetragenen Tatsachen, insbesondere der, dass der Erblasser schon seit Jahren mit seiner Lebensgefährtin zusammen Thailand wohnte, einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ im Sinne des Art. 21 Abs. 1 EuErbVO annehme. Nach Definition des Gerichts ist der „gewöhnliche Aufenthalt“ im Sinne der Erbrechtsverordnung der „Daseinsmittelpunkt einer Person“ dem Einzelfall anhand der nachprüfbaren Tatsachen der Lebensumstände des Erblassers zu ermitteln ist. Dabei können verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, wie etwa Dauer und Regelmäßigkeit von Aufenthalten oder auch anderer besonders enger Bindungen an einen Staat sowie etwa auch die Lage des Vermögens. Im hier zu entscheidenden Fall war nach Ansicht des Beschwerdegerichts eindeutig, dass der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Erbrechtsverordnung in Thailand hatte.
Deshalb war hier auch thailändisches Erbrecht anzuwenden. Das machte zum einen das maschinenschriftlich verfasste, nach thailändischem Erbrecht gültige, Testament auch für den deutschen Nachlass des Verstorbenen gültig. Zum anderen war hier auch das in Thailand geltende Internationale Privatrecht einschließlich möglicher Rückverweisungen anzuwenden, wie sich aus Art. 34 Abs. 1 EuErbVO ergibt. Nach dem thailändischen internationalen Privatrecht gilt aber für außerhalb Thailands gelegenes Immobilienvermögen das Erbrecht des Landes, in dem sich die Immobilien befinden. Damit kommt es zu einer sogenannten Nachlassspaltung, d. h., die Vermögensmasse des Verstorbenen wird nicht insgesamt rechtlich einheitlich vererbt, sondern zum Teil nach thailändischem und zum Teil nach deutschem Erbrecht. Die in Deutschland belegenen Immobilien des Erblassers bilden dann ein nach deutschem Recht zu behandelnden Nachlass. Die Erbfolge als solche bestimmt sich aber nach dem in Thailand gültigen Erbrecht.
Daraus ergibt sich, dass nicht auf den gesamten Nachlass deutsches Erbrecht anzuwenden ist. Durch die grundsätzliche Gültigkeit des thailändischen Erbrechts für den Nachlass des Verstorbenen und mangels einer entsprechenden Rückverweisungen aus dem thailändischen internationalen Privatrecht gilt für den thailändischen Besitz des Verstorbenen ausschließlich thailändisches Recht. Das bedeutet insbesondere, dass Pflichtteilsansprüche nach deutschem Recht gegenüber dem thailändischen Nachlass nicht geltend gemacht werden können.
6. Zwischenergebnis: Trotz grundsätzlicher Anwendung inländischen Erbrechts Erbfolge entsprechend dem Recht des letzten Aufenthaltsortes
Damit war hier aufgrund der der gültigen letztwilligen Verfügung des Erblassers nach thailändischem Recht der Antragsteller, zweites Kind des Erblassers, Alleinerbe der in Deutschland befindlichen Immobilien geworden. Das erste Kind des Erblassers war insoweit von der Erbfolge auch des deutschen Immobilienvermögens ausgeschlossen.
7. Hinweis auf weitere Problematik
Nicht entschieden hat das Oberlandesgericht in diesem Fall, ob der Beschwerdeführerin gegebenenfalls hinsichtlich des deutschen Vermögens des Erblassers ein Pflichtteilsanspruch gegen den Alleinerben zusteht. Dies wäre gesondert zu entscheiden, wenn es insoweit zum Streit käme.
8. Konsequenzen für potentielle Erblasser
Im hier besprochenen Fall hatte der Erblasser testamentarisch verfügt und so das Problem der Nachlassspaltung unter seinen Kindern ausgelöst. Es muss aber bedacht werden, dass auch bei einer rein gesetzlichen Erbfolge die Vorschriften der EuErbVO auf im Inland befindliche Nachlässe anzuwenden sind und damit insbesondere der Art. 21. Das bedeutet, dass Deutsche, die im Ausland ihren oben definierten gewöhnlichen Aufenthalt haben, im Todesfalle nach dem örtlichen Erbrecht vererben. Das kann unter anderem zur Konsequenz haben, dass ein über mehrere Staaten verteiltes Vermögen aufgrund der jeweiligen Verweisungen durch das Internationale Privatrecht der einzelnen Staaten verschiedenen Erbrechtsordnungen unterliegen kann. Die Praxis zeigt, vielen Menschen ist unklar, dass auf ihren Nachlass möglicherweise das Recht des Staates angewendet wird, in dem sie sich überwiegend aufhalten, auch wenn sie dies gar nicht wollen. Diese rechtliche Situation tritt dann per Gesetz ein und ist nachträglich nicht mehr zu ändern. Dies sollte bei der Nachlassplanung berücksichtigt werden. Hier ist unter Umständen guter Rat erforderlich, wie man durch geeignete Letztwillige Verfügungen (Testamente oder Erbverträge) unerwünschte Folgen durch mögliche Anwendung ausländischen Erbrechts abwendet.