1. Pflichtteilsberechtigung

Werden Abkömmlinge, Ehegatten oder gegebenenfalls Eltern eines Erblassers, die von Gesetzes wegen Erben geworden wären, durch Testament vom Erblasser vom Erbe ausgeschlossen, so steht Ihnen in der Regel ein Pflichtteil am Erbe des Erblassers zu (§ 2303 BGB). Dieser Pflichtteil ist ein Geldanspruch an die Erben in Höhe des Werts der Hälfte des Erbteils, die der gesetzliche Erbe erhalten hätte. Auch in dem Fall, dass jemand zwar Erbe wird, aber durch testamentarische Verfügungen am Ende wertmäßig weniger erhält, als es der Wert seines Pflichtteils gewesen wäre, hat einen Anspruch auf Aufstockung. Dies regelt das Gesetz in § 2305 BGB über den sogenannten Zusatzpflichtteil.

2. Berechnung der Höhe des Pflichtteils

Der Pflichtteilsanspruch berechnet sich aus der Höhe des sogenannten Aktivnachlasses (§ 2311 BGB). Das ist der Wert des Nachlasses, der übrig bleibt, wenn alle Schulden des Erblassers bezahlt worden sind und auch bestimmte sogenannte Nachlassverbindlichkeiten geregelt wurden. Was genau zu diesen Nachlassverbindlichkeiten gehört, ist in vielen Fällen nicht ganz klar. Deshalb kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen unter den Erben und den möglichen Pflichtteilsberechtigung, inwieweit der Nachlass durch eben solche Verbindlichkeiten minimiert worden ist.

3. Grabpflege als mögliche Nachlassverbindlichkeit

Im vom BGH entschiedenen Falle hatte die Erblasserin testamentarisch verfügt, dass aus ihrem Nachlass die Pflege ihres Grabes für 20 Jahre bezahlt werden müsste. Diese Kosten wurden mit 9.506,20 € vom Gericht berechnet. Nach Auffassung der Testamentsvollstreckerin der Verstorbenen war dieser Betrag als Nachlassverbindlichkeit vorab zu berücksichtigen, sodass sich der Pflichtteilsanspruch des einzigen Abkömmlings der Verstorbenen nach dem um den Betrag der Grabpflege verringerten Nachlassumfang zu richten habe. Dagegen hat der geklagt und als Erbe einen Zusatzpflichtteil gemäß § 2305 BGB geltend gemacht. Die Vorinstanz, das Landgericht, hatte seine Klage abgewiesen, weil es der Ansicht war, dass die testamentarisch verfügten Grabpflegekosten als nachlassmindernde Nachlassverbindlichkeiten zu werten seien.

4. Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof folgte in seiner hier zitierten Entscheidung dieser Ansicht des Landgerichts nicht. Nach seiner Auffassung hatte die Verpflichtung zur Grabpflege bei der Berechnung des Aktivnachlasses außer Ansatz zu bleiben.
Zwar trüge der Erbe und damit auch der hiesige Kläger gemäß § 1968 BGB die Kosten der Beerdigung des Erblassers. Dies sei zweifelsfrei eine Nachlassverbindlichkeit, die vor der Berechnung des Pflichtteils von der Nachlasshöhe abzuziehen sei. Diese Nachlassverbindlichkeit erfasse aber nur die eigentlichen Kosten der Beerdigung, also den Bestattungsakt selbst, der mit der Errichtung einer dauerhaften geeigneten Grabstätte beendet sei. Die Kosten der Instandhaltung und Pflege der Grabstätte nach der Beerdigung seien von Gesetzes wegen nicht mehr Kosten der Beerdigung selbst, sondern entspringen allenfalls einer sittlichen Verpflichtung des Erben.

Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass man Grabpflegekosten gegebenenfalls erbschaftssteuerlich absetzen kann. Diese steuerrechtliche Regelung sagt nichts über die zivilrechtliche Verpflichtung des Erben zu solchem Tun aus.

Die Anordnung im Testament eines Erblassers, dass sein Nachlass für jahrzehntelange Grabpflege zu verwenden sei, begründet für sich genommen ebenfalls keine dem Pflichtteilsberechtigten entgegenzuhaltende Nachlassverbindlichkeit.

Grabpflegekosten könnten dann eine Nachlassverbindlichkeit darstellen, wenn der Erblasser einen entsprechenden Grabpflegevertrag bereits zu Lebzeiten geschlossen hat. Diesen Vertrag erbt gemäß § 1922 BGB der Erbe genauso wie alle anderen Verbindlichkeiten des Erblassers. Damit liegt hier eine echte Nachlassverbindlichkeit vor. Es sei aber im entschiedenen Fall von der Vorinstanz unrichtig gewesen, durch testamentarische Anordnung bestimmte Grabpflege als Erbfallschuld zu betrachten, die den Erben bindet und damit mittelbar auch die Höhe des Pflichtteilsanspruches mindert. Die Bestimmung eines Erblassers in einem letzten Willen betreffend Art und Umfang der durchzuführenden Grabpflege stellt sich vielmehr rechtlich als eine Auflage gemäß § § 1940, 2192 BGB dar (oder unter Umständen als Zweckvermächtnis gem. § § 1939, 2156 BGB). Im hier entschiedenen Fall ist der BGH von einer Auflage ausgegangen.

Nach gefestigter Rechtsprechung und allgemeiner Auffassung ist jedoch ein Pflichtteilsanspruch immer vorrangig gegenüber Ansprüchen aus einer Auflage (oder auch aus einem Vermächtnis), die der Erblasser den Erben gemacht hat. Der Erblasser solle nicht in die Lage versetzt werden, durch freigiebige Zuwendungen auf diese Weise den Pflichtteilsanspruch zu schmälern.

Da im vom BGH entschiedenen Falle die Verfügung betreffend die Grabpflege durch die Erblasserin als Auflage anzusehen war, hatte sie gegenüber dem Zusatzpflichtteilsanspruch des Erben zurückzustehen. Dessen Erbe war also aufzustocken bis zur Höhe des Wertes des Pflichtteils.

Fazit:

Will ein Erblasser wirklich erreichen, dass noch jahre-, eventuell jahrzehntelang sein hinterlassenes Vermögen genutzt wird, um sein Grab zu pflegen, empfiehlt es sich für ihn dringend, einen Grabpflegevertrag noch zu Lebzeiten abzuschließen. Denn in diesem Falle haftet der Nachlass für diesen lebzeitigen Vertrag, der so eine echte Nachlassverbindlichkeit darstellt und auch gegenüber eventuellen Pflichtteilsansprüchen von übergangenen Erben sicher ist. Eine reine testamentarische Verfügung über die Grabpflege läuft dagegen immer wieder Gefahr, durch geltend gemachte Pflichtteilsansprüche ausgehebelt zu werden.