A. Ermittlungspflichten des Nachlassgerichts bei scheinbar erbenlosen Nachlässen

1. Ausgangslage

In einer Zeit, in denen die Familien immer kleiner werden, kommt es häufiger vor, dass Personen sterben und auf den ersten Blick keine Erben haben. Der Erblasser hat keine Nachkommen und war vielleicht selbst Einzelkind, sodass auch keine Geschwister oder Nichten und Neffen existieren. Gibt es keine Erben, so schreibt § 1936 BGB vor, dass der Staat, in diesem Falle das Bundesland des letzten Wohnsitzes, Erbe des Verstorbenen wird.

2. Bestimmung der Rechtsnachfolge

Diese Situation ist aber viel seltener, als man vielleicht zunächst annimmt. In den §§ 1924-1929 BGB ist ausführlich geregelt, wer von Gesetzes wegen Erbe eines Verstorbenen wird. Wer diese Vorschriften genau durchliest, kommt zu dem Ergebnis, dass es eigentlich kaum vorstellbar ist, dass jemand tatsächlich ohne existierenden Erben stirbt, denn jeder Blutsverwandte eines Verstorbenen, und sei er noch so entfernt, kommt als Erbe in Betracht.

3. Rolle der Nachlassgerichte

Wenn ein Mensch stirbt, befasst sich das zuständige Nachlassgericht, das ist das Amtsgericht des Bezirks, in dem der Mensch zuletzt gewohnt hat, gemäß §§ 342ff. FamFG mit dessen Nachlass. Dem Gericht obliegt die Testamentseröffnung, wenn ein Testament vorhanden ist. In jedem Falle obliegt dem Gericht auch die Ermittlung der Erben (§ 342 Abs. 1 Zf. 4 FamFG). Nur wenn das Nachlassgericht keine Erben findet, tritt die Situation des § 1936 BGB ein, dass nämlich der Staat Erbe wird.

4. Umfang der Ermittlungspflichten

Das Oberlandesgericht Celle hat nun in einem Nachlassverfahren mit Beschluss vom 20.4.2021 (Az. 6 W 60/21) entschieden, dass das Nachlassgericht bei dem Versuch, Erben zu ermitteln, größere Sorgfalt anlegen muss, als das manchmal geschieht. Im entschiedenen Falle hatte es das Nachlassgericht dabei bewenden lassen, zum einen beim für die Bestattung zuständigen Ordnungsamt nachzufragen, das keine Informationen über Angehörige der Verstorbenen hatte. Zum anderen hatte es dann eine Information über eine amtlich benannte Tochter der Erblasserin zwar verfolgt, aber diese Nachforschungen schon eingestellt, nachdem das Standes- und Einwohnermeldeamt am angegebenen Geburtsort der Tochter mitgeteilt hatte, dass diese dort nicht gemeldet sei. Nach diesen wenigen Schritten ging das Nachlassgericht schon vom Eintritt des Falles gem. § 1936 BGB, also dem Erbrecht des Staates aus.

Das Oberlandesgericht Celle hat dies ausdrücklich als zu geringe Anstrengungen gewertet. Zwar stünde es im pflichtgemäßen Ermessen des jeweiligen Nachlassgerichtes, wie Reichweite und Umfang der Erbenermittlungen anzulegen seien. Selbst verständlich spielte es in diesem Zusammenhang auch eine Rolle, wie groß der Nachlass und damit das Interesse eventueller Erben sein könnte. In jedem Falle aber seien auch bei kleineren Nachlässen solche wie die beschriebenen Bemühungen nicht ausreichend. Als eine Art Faustformel hat das Oberlandesgericht hier festgestellt, dass mindestens Anfragen betreffend eventuelle Blutsverwandte der Verstorbenen an Sterbe-, Ehe und Geburtenregister aller feststellbaren Lebensmittelpunkte des Erblassers gerichtet werden müssten. Dies kann als Mindestanforderung natürlich im Falle von Erblassern, die in ihrem Leben mehrfach den Wohnort gewechselt haben, relativ aufwendig sein. Aber dies ist jedenfalls im Interesse der potentiellen Erben dem Nachlassgericht zuzumuten.

Fazit:

nach diesem Beschluss wird es weniger wahrscheinlich, dass vorschnell die Akten geschlossen werden und Menschen, die vielleicht Verwandte haben, von denen sie entweder lange nichts mehr gehört haben oder die sie gar nicht erst kennen, auch niemals davon erfahren, dass sie deren Erben geworden sind. Vielleicht wird auf diese Weise für den einen oder anderen der Traum vom Erbe des unbekannten reichen Onkels doch noch wahr. Die Nachlassgerichte jedenfalls müssen das ihre dazu tun.

B. Die Verjährung von Vermächtnisansprüchen auf Übertragung eines Grundstücks

1. Grundsätzlich zum Immobilienvermächtnis

Per Testament kann man nicht nur seine Erben bestimmen, sondern auch sogenannte Vermächtnisse aussetzen (vgl. §§ 2174ff. BGB). Ein Vermächtnis bedeutet regelmäßig, dass die Erblasser einen bestimmten Gegenstand aus ihrem Vermögen einer bestimmten Person zukommen lassen wollen. Das kann ein Auto sein, ein Kunstwerk oder auch ein Grundstück. Der Vermächtnisnehmer erwirbt dann im Erbfall einen Anspruch gegen die Erben, dass diese ihm das Vermächtnis auskehren. Der Anspruch des Vermächtnisnehmers muss aber geltend gemacht werden und unterliegt der Verjährung. Es kann also passieren, dass bei zu später Geltendmachung des Anspruches das Vermächtnis verjährt ist und der Vermächtnisnehmer das ihm eigentlich Zugedachte nicht erhält. Bei einer Immobilie muss der Vermächtnisnehmer von den Erben die Übertragung dieser Immobilie fordern. Unter Umständen geschieht diese Forderung zu spät und der Erbe ist dann nicht mehr verpflichtet, die Übertragung auch durchzuführen.

2. Ein Fall des Immobilienvermächtnisses

In einem vom Oberlandesgericht München (Az. 33 W 92/21) entschiedenen Fall trat dieses Problem deutlich zutage: in einem Testament hatten Großeltern zunächst einander als Alleinerben eingesetzt, als Schlusserben nach dem Letztversterbenden dann ihre Kinder. Gleichzeitig hatten Sie aber für den Augenblick des Versterbens des Überlebenden drei Vermächtnisse angeordnet, nach denen drei ihrer Enkel mit jeweils einem Grundstück bedacht werden sollten. Bis hierhin ein völlig normaler erbrechtlicher Vorgang.

3. Ablaufstörungen

Der Überlebende des Großelternpaares verstarb im Februar 2009. Damit trat der Erbfall ein und auch die oben genannten drei Vermächtnisse zur Grundstücksübertragung wurden fällig. Offenbar wurde es aber unterlassen, die im Wege der Vermächtnisse an die begünstigten drei Enkel zu übertragenden Grundstücken zügig im Grundbuch auf diese zu übertragen. Der Vater (Miterbe nach den Großeltern) der drei Vermächtnisnehmer starb im März 2019. Zu diesem Zeitpunkt waren die vermachten Grundstücke noch nicht an die Vermächtnisnehmer, die Kinder des soeben verstorbenen Vaters, übertragen. Diese versuchten nun, unter anderem im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die Übertragung der Grundstücke, die Ihnen ja rechtmäßig vermacht worden waren, gegen die Erben durchzusetzen. Diese jedoch wandten Verjährung ein. Da das Vermächtnis wie oben erwähnt bereits mit Tod des überlebenden Großelternteils im Februar 2009 fällig geworden sei, aber bis Beantragung gerichtlicher Sicherungsmaßnahmen im Oktober 2020 durch die Vermächtnisnehmer nicht ausgeführt wurde, sei der Anspruch der drei Enkel verjährt.

4. Denkbare Verjährungsregelungen betreffend Vermächtnisse von Grundstücken

Normalerweise verjähren Ansprüche auf Übertragungen aufgrund schuldrechtlicher Verpflichtungen gemäß § 195 BGB in 3 Jahren, beginnend mit dem Ende des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Eine Besonderheit der Verjährung nach dieser Vorschrift besteht darin, dass diese Verjährungsfrist unter bestimmten Umständen nur dann zu laufen anfängt, wenn der Anspruchsberechtigte von seinem Anspruch Kenntnis hatte oder haben musste.

In diesem hier entschiedenen Falle behaupteten die Vermächtnisnehmer, dass sie bis zum Tod ihres Vaters gar keine Kenntnis von den Vermächtnissen gehabt hätten, sodass die 3-jährige Verjährungsfrist erst zu laufen begänne, nachdem sie nunmehr Bescheid wüssten. Außerdem handele es sich bei dem Anspruch aus dem Vermächtnis ihrer Großeltern um einen erbrechtlichen Anspruch, für den gemäß § 199 Absatz 3a BGB grundsätzlich die 30-jährige Verjährungsfrist gelte.

Dem hielt die in Anspruch genommene Erbin entgegen, dass es für die Übertragung von Grundstücken eine Spezialregelung im BGB gebe, nämlich § 196 BGB. Nach dieser Vorschrift verjähren Ansprüche auf Übertragung von Grundstücken jedenfalls innerhalb von 10 Jahren.

5. Entscheidung des Oberlandesgerichts

Das OLG München folgte der Argumentation der Erbin. Es erklärte den Anspruch der Vermächtnisnehmer für verjährt. Denn nach Ansicht des Gerichts handelt es sich bei der Verjährungsregelung des § 196 BGB um eine Spezialvorschrift für Fälle der Eigentumsübertragung von Grundstücken und dies gelte auch dann, wenn der schuldrechtliche Grund für die Eigentumsübertragung in einem Vermächtnis läge. Insofern verdrängte diese Spezialregelung auf jeden Fall die Verjährungsregelung von § 195 BGB, sodass es auf die in dieser Vorschrift einschränkend ausgeführten Fälle einer Kenntnis vom Anspruchsgrund nicht ankäme. Vielmehr richte sich der Verjährungsbeginn im Falle des § 196 entsprechend § 200 BGB nach dem objektiv bestimmten Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs. Die 30-jährige Verjährungsfrist des § 199 Absatz 3a sei auch nicht anwendbar, da es sich bei dieser Vorschrift lediglich um eine Bestimmung der höchsten denkbaren Verjährungsfrist handele.

Im Ergebnis bedeutete das dies: da die Ansprüche der Vermächtnisnehmer auf Übertragung der Grundstücke mit dem Tod des überlebenden Großelternteils im Februar 2009 entstanden waren, verjährten sie mit dem 31.12.2019. Die begünstigten Vermächtnisnehmer wendeten sich aber erst mit einem Antrag auf einstweilige Verfügung unter dem 26.10.2020 an das Landgericht München. Zu diesem Zeitpunkt konnte eine Verjährungsunterbrechung durch gerichtliche Handlung nicht mehr herbeigeführt werden, da die Verjährungsfrist bereits abgelaufen war. Der vollkommen zweifelsfrei durch die Vermächtnisverfügung der Großeltern entstandene Anspruch der hier klagenden Enkel auf Übertragung der Grundstücke konnte also nicht mehr durchgesetzt werden, auch wenn diese unwidersprochen behaupten konnten, dass sie von dem Vermächtnis und damit den sie begünstigenden Verfügungen ihrer Großeltern gar nichts gewusst hatten.

Fazit:

Unwissenheit schützt in einem solchen Falle nicht vor der Verjährung. Es ist harte juristische Wirklichkeit, dass auch ein als solches vollkommen zweifelsfreies Grundstücksvermächtnis an Familienmitglieder sozusagen im Stillen verjähren kann, wenn die potentiellen Begünstigten von ihrer Rechtsstellung nichts wissen. Es empfiehlt sich für Erblasser daher unbedingt, bei Abfassung von Letztwilligen Verfügungen, die Grundstücksvermächtnisse enthalten, die Begünstigten zumindest formlos zu unterrichten, damit sie bei Eintritt des Erbfalles sofort überprüfen können, ob die zu ihren Gunsten getroffenen Verfügungen jetzt fällig sind.