Es gibt eine verbreitete Meinung, nach der man bei unsicheren finanziellen Verhältnissen des Erblassers als potentieller Erbe gut daran täte, gewissermaßen zunächst das Erbe auszuschlagen. Denn würde sich später herausstellen, dass das Erbe in Wirklichkeit nicht überschuldet war, könnte man diese ursprüngliche Ausschlagung leicht anfechten und damit seine Position als gesetzlicher, oder gegebenenfalls auch testamentarischer, Erbe wiederherstellen. Diese Ansicht ist in ihrer Absolutheit falsch und es muss daher vor vorschnellem Handeln gewarnt werden.

1. Neue Rechtsprechung

Im Dezember 2020 hat das Oberlandesgericht Düsseldorf in einer Ausschlagungssache einen Beschluss gefasst, in dem noch einmal die grundsätzlichen Problematiken angesprochen werden. Ich zitiere hier den Leitsatz dieses Beschlusses:

„Der potentielle gesetzliche Erbe, der die Erbschaft ohne Angabe von Gründen ausschlägt und sodann mit Blick auf die inzwischen festgestellte Werthaltigkeit des Nachlasses seine Ausschlagungserklärung anficht, weil er irrtümlich von einem überschuldeten Nachlass ausgegangen sei, macht nicht den Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (Erbschaft), sondern einen bloßen unbeachtlichen Motivirrtum geltend, da er seine Ausschlagungserklärung ohne Kenntnis von der Zusammensetzung des Nachlasses und ohne Bewertung ihn etwa bekannter oder zugänglicher Fakten, nämlich auf spekulativer – bewusst ungesicherter – Grundlage abgegeben hat.“

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9.12.2020 – I – 3Wx 13/20

Im Ergebnis hat das Oberlandesgericht hier einen Fall entschieden, in dem eine gesetzliche Erbin, die zunächst den Nachlass ausgeschlagen hatte, weil sie ihn für überschuldet hielt, nicht einfach mit der Begründung ihre Ausschlagung anfechten konnte, dass sie später gemerkt hätte, dass der Nachlass doch werthaltig sei. Damit erhielt die Erbin aus dem einmal ausgeschlagenen Nachlass nichts.

2. Ausschlagung einer Erbschaft

Grundsätzlich wird jemand entweder durch die gesetzliche Erbfolge oder durch testamentarische Einsetzung zum Erben. Erbe sein bedeutet nach § 1922 BGB, dass man Gesamtrechtsnachfolger des Erblassers wird. Dies bedeutet, dass man grundsätzlich auch für dessen Schulden haften muss. Aus diesem Grunde ergibt sich – insbesondere wenn man Erbe einer Person wird, deren Verhältnisse man gar nicht gut gekannt hat, etwa eines entfernten Verwandten – mit dem Anfall der Erbschaft immer ein Problem: gibt es Schulden, für die man eventuell haften müsste? Es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich gegen diese Haftung abzusichern. In diesem Beitrag beschäftigen wir uns ausschließlich mit der Ausschlagung. Gemäß §§ 1942-1946 BGB kann man durch formgerechte Erklärung zum Amtsgericht die Erbschaft ausschlagen und ist damit auch aus der Haftung für Schulden des Erblassers befreit. Dies empfiehlt sich naturgemäß, wenn man ganz genau weiß, dass der Erblasser vor allem Schulden hinterlässt, mit denen man nichts zu tun haben will. Es gibt allerdings die Situation, dass man als potentieller Erbe nicht so recht weiß, ob man es mit einem überschuldeten Nachlass zu tun hat oder nicht. Wie oben angedeutet, gibt es für solche Situationen den Tipp, die Erbschaft sicherheitshalber einmal auszuschlagen und dann den weiteren Verlauf der Angelegenheit zu beobachten. Für den Fall, dass sich später herausstellte, dass die Erbschaft doch nicht überschuldet war, könne man dann später seine Ausschlagungserklärung einfach anfechten und würde wieder in die Erbenstellung einrücken. Doch so einfach ist das eben nicht.

3. Gründe

Die Ausschlagung einer Erbschaft ist eine Erklärung, die man gegenüber dem zuständigen Nachlassgericht abzugeben hat. Damit ist sie eine sogenannte empfangsbedürftige Willenserklärung im Rechtssinne. Eine solche Erklärung kann man wegen eines Irrtums anfechten, wenn es sich um einen rechtlich relevanten Irrtum handelt, vergleiche § 119 BGB. Die Anwendung dieser sogenannten Irrtumsanfechtung auf die Ausschlagungserklärung ergibt sich aus der Regelung des § 1954 Abs. 1 BGB. Der hier wichtige Fall der Anfechtung einer Ausschlagungserklärung wegen Irrtums ist der sogenannte Eigenschaftsirrtum. Darunter versteht das Recht eine falsche Vorstellung von „Eigenschaften einer Sache“. Als Sache kann auch der Nachlass betrachtet werden, obwohl er vielleicht nicht wesentlich aus körperlichen Gegenständen wie Schmuck und Grundstücken, sondern aus Forderungen, wie zum Beispiel Bankguthaben oder Hypothekenschulden, besteht (vgl. Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, § 1954, Rn. 11).

Als rechtlich relevanter Irrtum über die Eigenschaften eines ausgeschlagenen Nachlasses wird zwar letztlich die Vorstellung, der Nachlass sei überschuldet, akzeptiert. Aber dafür reicht nicht die bloße falsche Vorstellung oder Vermutung, das werde wohl so sein. Auch nicht darf man sich auf die Auskunft eines Miterben oder sonst am Nachlassprozess Beteiligten verlassen, der Nachlass sei wertlos und möglicherweise überschuldet. Auch die laienhaft vorgenommene Bewertung von Aktiva und Schulden des Nachlasses mit dem Ergebnis, es werde wohl nichts zu holen sein, genügt hier nicht, um einen relevanten Irrtum im Rechtssinne zu konstruieren (vergleiche Münchener Kommentar a.a.O. Rn. 13). Es kommt vielmehr darauf an, dass der Ausschlagende sich über sogenannte wertbildende Faktoren des Nachlasses geirrt hat. Das bedeutet zum Beispiel, dass der ausschlagende Erbe nicht gewusst hat, dass auch ein Grundstück oder ein wertvolles Bild zum Nachlass gehörten, die am Ende den Nachlass so wertvoll machen, dass eine Überschuldung trotz erheblicher Verbindlichkeiten des Erblassers nicht besteht. Ähnliches gilt, wenn der Ausschlagende bei seiner Ausschlagungserklärung irrtümlicherweise angenommen hat, dass ein bestehender Bankkredit des Erblassers viel höher sei, als er es tatsächlich gewesen ist. Solche Irrtümer über konkrete Eigenschaften des Nachlasses können dazu führen, dass man eine voreilig gegebene Ausschlagungserklärung wegen Irrtums anfechten kann.

Verhält es sich dagegen so, dass man das Erbe nur deshalb ausgeschlagen hat, weil man den Nachlass insgesamt für überschuldet gehalten hat, ohne dass man sich Gedanken über den konkreten Nachlassbestand gemacht hätte, dann ist es in der Regel so, dass eine Anfechtung der Ausschlagung nicht mehr möglich ist, wenn man später feststellt, dass man sich hier insgesamt geirrt hat. Das gilt auch dann, wenn man aufgrund einer falschen Information durch Dritte wie etwa Miterben und ohne genaue Kenntnis über den Nachlass einfach angenommen hat, der Nachlass sei überschuldet und man schlage ihn besser aus.

4. Fazit

Wenn man Erbe oder Miterbe eines vielleicht überschuldeten Nachlasses wird, sollte man sich nicht unbedingt auf den ersten Eindruck verlassen und schnell ausschlagen. Denn dann besteht die Gefahr, dass man seine Entscheidung später nicht durch Anfechtung korrigieren kann, falls sich herausstellt, dass der Nachlass doch einen Wert hat. Es empfiehlt sich also, sich möglichst genau über die einzelnen Nachlassbestandteile und ihren jeweiligen Wert sowie über die Schulden zu informieren und dann aufgrund dieser Informationen eine Kalkulation anzustellen, ob die Ausschlagung der bessere Weg wäre. Schlägt man dann aufgrund einer falschen Kalkulationsbasis aus und stellt sich später heraus, dass zum Nachlass vielleicht noch andere wertvolle Gegenstände gehören, die einem zum Zeitpunkt der Ausschlagungserklärung unbekannt waren, dann kann man sich zur Anfechtung seiner Ausschlagungserklärung im Regelfalle darauf berufen, dass man sich über den Bestand des Nachlasses geirrt hat.

Wichtig ist noch in diesem Falle, dass man während seiner Überlegungen nicht vergisst, dass eine wirksame Ausschlagungserklärung gemäß § 1944 Abs. 1 BGB in der Regel innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnis der eigenen Erbenstellung erfolgen muss. Versäumt man diese Frist, so gilt die Erbschaft als angenommen. Danach die Haftung wieder zu beschränken ist dann ein anderes – und nicht immer lösbares – Problem.

Wenn also die Nachlasssache nicht von vornherein völlig sonnenklar ist, dann empfiehlt es sich gegebenenfalls, sich beraten zu lassen. Sonst schlägt man möglicherweise zu früh aus und bereut das ein Leben lang.