Die Corona-Pandemie wirkt in vielen Branchen als Beschleuniger des Strukturwandels. Die Umstellung vieler Abteilungen auf Home-Office und die tiefen Einschnitte, die durch die erforderlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie in betriebliche Abläufe und Rituale erforderlich wurden, haben gewohnte Strukturen erschüttert. Arbeitsbereiche wurden getrennt oder zusammengelegt, Dienstreisen wurden durch virtuelle Konferenzen ersetzt, die Digitalisierung wurde beschleunigt. Kurzum: Innerhalb kürzester Zeit wurden Änderungen in den betrieblichen Abläufen vorgenommen, für die ohne Corona jahrelange zähe Verhandlungen mit Betriebsräten erforderlich gewesen wären.

Kein Wunder also, dass gerade jetzt in vielen Unternehmen „freiwillige“ Programme zum Abbau von Arbeitsplätzen ins Auge gefasst werden. Aus leicht nachvollziehbaren Gründen haben sich für diese Programme die Bezeichnungen Abfindungsprogramm oder Freiwilligenprogramm durchgesetzt. Die schonendste Methode zum Abbau von Arbeitsplätzen ist der weitgehende Verzicht auf Neueinstellungen zum Ausgleich etwa von Pensionierungen. Die Folge dieser schonenden Methode ist allerdings eine Verschlechterung der Altersstruktur und damit einhergehend der Innovationskraft. Durch Freiwilligen- oder Abfindungsprogramme sollen insbesondere die älteren und mittleren Jahrgänge erreicht werden, die in vielen Unternehmen als eher teuer und unflexibel gelten.

Die Programme enthalten im Kern ein Angebot zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages: Der Arbeitnehmer stimmt einer betrieblich veranlassten Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu und erhält zum Ausgleich eine Abfindung. Die Höhe der Abfindung folgt in der Regel einer ausgeklügelten Formel deren wichtigster Bestandteil die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Bruttoeinkommen des Arbeitnehmers sind. Berücksichtigt werden zudem Unterhaltsverpflichtungen, das Lebensalter, eine Schwerbehinderung etc.. Der Arbeitnehmer, an den sich ein solches Angebot richtet, reagiert in der Regel mit gemischten Gefühlen. Nicht zu verachten ist natürlich die Chance auf Freiheit und einen Haufen Geld. Unangenehm ist hingegen die Erkenntnis, dass der Arbeitgeber einen loswerden will. Die Chance auf Freiheit könnte sich als Illusion erweisen. Wie soll man wissen, wie man mit Freiheit zurechtkommt, wenn man in den letzten 20 Jahren werktäglich mehr oder weniger fremdbestimmt gearbeitet hat? Welche Chancen hat man im Bewerbungsprozess?

Nach über 20 Berufsjahren als beratender Fachanwalt für Arbeitsrecht empfehle ich dringend, einem Freiwilligenprogramm nicht vorschnell und nicht aus dem Bauch heraus zuzustimmen. Auch wenn dem Arbeitnehmer eine erhebliche Extrazahlung für eine kurzfristige Zustimmung versprochen wird („Sprinterprämie“), sollte das Für und Wider sehr sorgfältig und ohne Zeitdruck erwogen werden. Selbst wenn die Programme einen engen zeitlichen Rahmen vorgegeben bzw. Fristen setzen, gilt: Für eine Zustimmung ist es in der Regel auch nach Ablauf aller Fristen nicht zu spät, denn der Arbeitgeber wird auch dann noch an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Interesse haben. Oftmals lässt sich dann auch noch die Sprinterprämie durchsetzen. Ist aber die Vereinbarung einmal unterzeichnet, sind alle Messen gesungen. Ein Zurück gibt es nicht!

Hat man sich erfolgreich des Fristendruckes entledigt, ist es sinnvoll, sich möglichst realistisch mit der Frage zu befassen, was man mit der dann freigesetzten Arbeitskraft anfangen möchte. Wie stehen die Chancen auf ein neues Beschäftigungsverhältnis? Hier ist zu berücksichtigen, dass sich die Jobsituation allgemein verschlechtern könnte. Während in der letzten Dekade in vielen Branchen Vollbeschäftigung herrschte und das Stichwort Fachkräftemangel in aller Munde war, könnte sich das Blatt nun in einigen Branchen gerade für ältere Arbeitnehmer vor dem Hintergrund eines sich beschleunigenden Strukturwandels wenden. Warnen müssen wir zudem vor diffusen Plänen für eine selbstständige Tätigkeit. Zu einer selbstständigen Tätigkeit gehört in der Regel weit mehr als die eigentliche Berufsausübung und es ist absolut typisch, dass gerade Führungskräfte diese zusätzlichen Aufgaben und Aufwendungen einer Selbstständigkeit unterschätzen bzw. ihre diesbezüglichen Fertigkeiten überschätzen. Überschätzt wird zudem häufig die Nutzbarkeit des Netzwerkes, dessen Teil man als angestellte Führungskraft eines größeren Unternehmens gewesen ist. Gerade Führungskräfte verkennen oft, wie wenig sie von ihrem beruflichen Standing in die Selbstständigkeit mitnehmen können und machen sich kein realistisches Bild davon, wie schwierig es ist, sich als selbstständiger Berater durchzusetzen.

Andererseits gibt es viele Arbeitnehmer, die ohne weiteres eine Anschlussbeschäftigung finden werden oder die mit überschaubarem Aufwand (ein Ortswechsel, eine spezifische Fortbildung) eine solide berufliche Perspektive haben. Es lohnt sich nach unserer Erfahrung, die ganz eigene Perspektive ergebnisoffen und realistisch zu beleuchten. Die Frage nach der eigenen Perspektive ist ohne Zweifel die allerwichtigste Frage bei der Bewertung eines Aufhebungsangebotes. Die Einzelheiten des Angebotes – die Angebote unterscheiden sich innerhalb einer Branche meist nur unwesentlich – sind in der Regel zweitrangig gegenüber den beruflichen Perspektiven nach dem Verlust des Arbeitsplatzes.

Die nächste tatsächlich wichtige Frage bei der Beurteilung eines Freiwilligenprogramms ist die nach der Alternative im Unternehmen. Der Strukturwandel geht ja weiter. Wer das Freiwilligenprogramm dankend ablehnt, muss in der Regel damit rechnen, dass der Arbeitgeber nicht locker lässt, auch wenn eine betriebsbedingte Kündigung nicht unmittelbar im Raum steht. Auch insoweit ist eine möglichst realistische Prognose wichtig: Wie wird sich in den kommenden Jahren mein Arbeitsplatz verändern? Zweckoptimismus ist bei dieser Prognose ebenso unangebracht wie Pessimismus.

Als anwaltliche Berater sind wir darauf spezialisiert, im Rahmen eines Trennungsprozesses zu beraten. Das Aufhebungsangebot als Teil eines Freiwilligenprogramms können wir schnell verstehen und bewerten. Für den Arbeitnehmer besonders wichtig ist darüber hinaus, die richtigen Fragen im Hinblick auf seine Perspektive außerhalb und innerhalb des Unternehmens zu stellen und auf eine wirklich erfahrene und realistische Einschätzung dieser Perspektive hinzuarbeiten. Auf diese Weise gelingt in der Regel der für den jeweiligen Arbeitnehmer richtige Umgang mit einem Abfindungsprogramm.